Heinrich Jacoby „ Jenseits von musikalisch und Unmusikalisch“

Nicht aufnehmen wollen, sondern empfangsbereit und gelassen sein.

 Dem Atem gestatten, sich unbehindert in uns auszuwirken und dem Verlauf keinerlei Widerstand entgegensetzen.

 Wie wir vom Vorhandensein irgendwelcher Funktionen oft erst etwas merken, wenn ihr normaler Ablauf gestört wird, so hat die Beschäftigung mit den Störungen, an denen die Äußerungshemmungen bemerkbar wurden, erst die Aufmerksamkeit auf das Vorhandensein von Funktionen gelenkt, die beim Erleben des ungestörten Ablaufs beim „Musikalischen“ bisher weder aufgefallen noch bewußt geworden waren.

 Bewußtes Erfahren dessen, was in uns geschieht.

 Den Ablauf in sich erleben, ausgelöste Funktionen zu empfinden, sich über die betreffende Empfindung Rechenschaft zu geben, sie von anderen Arten der Empfindung zu unterscheiden, bedeutet wohlgemerkt nicht, daß damit nach subjektiven Meinungen, nach „Gefühlen“, nach Urteilen über schön und häßlich, angenehm und unangenehm, Wert und Unwert der konstatierten Empfindung gefragt wird.Ganz im Gegenteil! Es kommt allein darauf an (und das ist in der Praxis viel leichter zu erreichen, als man glaubt), sich zunächst nur- wie ein registrierender Apparat- Zustände und Zustandsänderungen bewußt werden zu lassen, ohne danach zu fragen, welche subjektiven Wirkungen man dabei empfindet und welche Meinungen man darüber hat.So lernen wir dieses empfangsbereite Verhalten deutlich zu empfinden und vom einsetzen eigener Aktivität deutlich zu unterscheiden.Es ist das gleiche Verhalten, wie es unbewußt allen Äußerungen des unbefangenen, noch nicht geschulten Kindes zugrunde liegt.

 Das Kennenlernen und Vertrautwerden mit den bei gelösten, gelassenen Verhalten wirksam werdenden selbstordnenden und gestaltenden Kräften in uns, das Bewußt-werden-Lassen und Auslösenkönnen  jener latenten Fähigkeiten, in denen sich das“Es“bemerkbar macht, wirkt in überraschender Weise auf die Ausdrucksfähigkeit. Man merkt sehr bald, daß man sich auf die Gesetzmäßigkeit in sich selbst, auf das wirken des“Es“mit größter Sicherheit verlassen kann.

  Es gilt also, entgegen der  gewohnten Anstrengung zu einem bewußten Empfinden des Zustandes von Gelassenheit  zu kommen. Zugleich entwickelt sich die Fähigkeit zu tiefer Konzentration und die Möglichkeit zu spontanen Reaktionen.

 Die Gewöhnung, durch gelassenes Verhalten für das bewußte Erleben des

innerlich sich Gestaltenden bereit zu werden, ermöglicht es, die wichtigste Vorraussetzung aller schöpferischen Leistung zurückzugewinnen: Die Fähigkeit, intellektuelle Reflexion so lange zurückzuhalten, bis Empfundenes klare Gestalt gewonnen  hat.